"Indem das kubistische Stilleben die Zentralperspektive aufbricht, entsteht ein Trompe l’oeil neuer Art. Die Augentäuschung kommt nicht mehr in der Erkenntnis der Illusion und in der Bewunderung der technischen Perfektion zur Ruhe, sondern sie bleibt als eine unauflösliche Irritation der Raumwahrnehmung. Dadurch, daß der kubistische Gegenstand in mehrere gleichwertige quasi-perspektivische Ordnungen gebrochen ist, die sich gegenseitig durchdringen und durchkreuzen, arbeitet der Blick unaufhörlich und immer enttäuscht an der Rekonstruktion einer wahren Ansicht, wechselt verwirrt die bruchstückhaft angebotenen Perspektiven und gleitet zwischen flächigem und räumlichem Sehen hin und her, ohne bei einer eigentlichen Ansicht Ruhe zu finden. Das kubistische Stilleben vergegenwärtigt das einfache Ding in der Transparenz seiner Uneindeutigkeit, an der Grenze seiner Bestimmtheit zur Unbestimmtheit."
Hannes Böhringer “Von der Philosophie zur Kunst”, Merve Verlag; Auflage: Internationaler Merve Diskurs, Band 151. (1. Januar 1990), S.16